Aktualisiert 18/09/2024
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Ursprungsrechtsakt
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Erwägungsgründe

DELEGIERTE VERORDNUNG (EU) 2023/1651 DER KOMMISSION

vom 17. Mai 2023

zur Ergänzung der Richtlinie (EU) 2019/2034 des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für die spezifische Liquiditätsmessung bei Wertpapierfirmen gemäß Artikel 42 Absatz 6 jener Richtlinie

(Text von Bedeutung für den EWR)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Richtlinie (EU) 2019/2034 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 über die Beaufsichtigung von Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinien 2002/87/EG, 2009/65/EG, 2011/61/EU, 2013/36/EU, 2014/59/EU und 2014/65/EU (1), insbesondere auf Artikel 42 Absatz 6 Unterabsatz 3,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Um die angemessene Höhe der Liquidität zu bemessen, über die Wertpapierfirmen verfügen sollten, müssen gemeinsame Kriterien festgelegt werden, mit denen der entsprechende Liquiditätsbedarf unter normalen und unter angespannten Bedingungen geschätzt und mit denen festgestellt werden kann, ob zwischen den von den Wertpapierfirmen gehaltenen liquiden Aktiva und dem ermittelten Liquiditätsbedarf eine Lücke besteht.

(2)

Bei Wertpapierfirmen, die die in Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2019/2033 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) genannten Bedingungen für die Einstufung als kleine und nicht verflochtene Wertpapierfirma erfüllen, gilt das Liquiditätsrisiko im Vergleich zu anderen Wertpapierfirmen als nur begrenzt. Deswegen können die zuständigen Behörden solche Wertpapierfirmen nach Artikel 43 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung (EU) 2019/2033 von der Anwendung der in Artikel 43 Absatz 1 Unterabsatz 1 jener Verordnung festgelegten Liquiditätsanforderung ausnehmen. Diese Ausnahme ist jedoch nicht vorgeschrieben. Mit Blick auf kleine und nicht verflochtene Wertpapierfirmen, die von der zuständigen Behörde nicht von dieser Liquiditätsanforderung ausgenommen wurden, wäre es unverhältnismäßig, wenn diese Wertpapierfirmen denselben Liquiditätsanforderungen unterworfen würden wie größere und verflochtene Wertpapierfirmen. Daher sollte festgelegt werden, dass die zuständigen Behörden bei der Messung der in Artikel 42 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe a der Richtlinie (EU) 2019/2034 genannten Liquiditätsrisiken und Liquiditätsrisikokomponenten lediglich die Liquiditätsrisiken und Liquiditätsrisikokomponenten messen sollten, die aus denjenigen Tätigkeiten und anderen für kleine und nicht verflochtene Wertpapierfirmen spezifischen Faktoren erwachsen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Liquiditätsrisiko führen, das wesentlich und durch die in Teil 5 der Verordnung (EU) 2019/2033 festgelegten Liquiditätsanforderungen nicht abgedeckt ist. Zu diesen Faktoren gehören insbesondere Tätigkeiten wie die Portfolioverwaltung, der Betrieb eines multilateralen Handelssystems im Sinne von Artikel 4 Nummer 22 der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (3) oder eines organisiertes Handelssystems im Sinne von Artikel 4 Nummer 23 jener Richtlinie, die Gewährung von Krediten und Darlehen an Anleger sowie das Refinanzierungsrisiko und die Relevanz der Gruppenstruktur für das Liquiditätsrisiko.

(3)

Nach Artikel 7 Absatz 3 der Verordnung (EU) 2019/2033 müssen Unions-Mutterwertpapierfirmen, Unions-Mutterinvestmentholdinggesellschaften und gemischte Unions-Mutterfinanzholdinggesellschaften den in Teil 5 jener Verordnung festgelegten Pflichten auf Basis ihrer konsolidierten Lage nachkommen. Eine Unions-Mutterwertpapierfirma, eine Unions-Mutterinvestmentholdinggesellschaft und eine gemischte Unions-Mutterfinanzholdinggesellschaft können in einer konsolidierten Lage Liquiditätsrisiken oder Liquiditätsrisikokomponenten ausgesetzt sein, die wesentlich sind und die von diesen Liquiditätsanforderungen gar nicht oder nicht ausreichend abgedeckt werden. Ebenso kann es sein, dass eine Unions-Mutterwertpapierfirma, eine Unions-Mutterinvestmentholdinggesellschaft und eine gemischte Unions-Mutterfinanzholdinggesellschaft im Sinne von Artikel 42 Absatz 1 Buchstabe b in einer konsolidierten Lage die Anforderungen der Artikel 24 und 26 der Richtlinie (EU) 2019/2034 nicht erfüllen und andere Verwaltungsmaßnahmen voraussichtlich nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu einer ausreichenden Verbesserung der Regelungen, Verfahren, Mechanismen und Strategien führen werden. Deshalb sollten die zuständigen Behörden bei solchen Unions-Mutterwertpapierfirmen, Unions-Mutterinvestmentholdinggesellschaften und gemischten Unions-Mutterfinanzholdinggesellschaften auf konsolidierter Basis messen, ob das Liquiditätsrisiko dieser Firmen und Gesellschaften wesentlich und von den Liquiditätsanforderungen des Teils 5 der Verordnung (EU) 2019/2033 nicht abgedeckt ist.

(4)

Verschiedene Tätigkeiten von Wertpapierfirmen können sich in unterschiedliche Weise auf das Liquiditätsprofil dieser Wertpapierfirmen auswirken. Vermögenspreisveränderungen können Verluste verursachen und sich auf die Bilanzen und die Liquiditätslage der Wertpapierfirmen niederschlagen, auch wenn diese Firmen keine Vermögenswerte von Kunden für eigene Rechnung halten. Wertpapierfirmen, die Portfolioverwaltungsdienstleistungen erbringen, können für Marktschwankungen empfindlich sein, die Cashflow-Inkongruenzen zwischen den Eingängen an üblicherweise vierteljährlich oder halbjährlich gezahlten Entgelten und den Zahlungsausgängen für fällige Verbindlichkeiten verursachen oder verschärfen können. Deshalb ist es angemessen, für jede in Anhang I Abschnitt A der Richtlinie 2014/65/EU genannte Wertpapierdienstleistung oder Tätigkeit festzulegen, welche Kriterien die zuständigen Behörden berücksichtigen sollten, wenn sie messen, ob das Liquiditätsrisiko oder die Liquiditätsrisikokomponenten einer Wertpapierfirma durch die in Teil 5 der Verordnung (EU) 2019/2033 vorgesehene Liquiditätsanforderung ausreichend abgedeckt sind. Insbesondere sollten die zuständigen Behörden verpflichtet werden, die für Marktschwankungen besonders empfindlichen Wertpapierdienstleistungen oder Tätigkeiten zu berücksichtigen, da solche Schwankungen sowohl vom Zeitpunkt als auch vom Umfang her nicht vorhersehbar sind und sich in unterschiedlicher Form auf das Liquiditätsrisiko auswirken können, insbesondere auch durch höhere Nachschussforderungen, niedrigere Gewinne und geringere Entgelte.

(5)

Wertpapierfirmen, die als Nebendienstleistung Kredite oder Darlehen an Anleger gewähren dürfen, sind einem spezifischen Liquiditätsrisiko ausgesetzt. Zahlen Anleger Schulden verspätet zurück, kann dies die Fähigkeit einer Wertpapierfirma, ihre Verpflichtungen zu erfüllen, beeinträchtigen, und die Verwertung von Sicherheiten mit verschlechtertem Liquiditätsprofil kann dazu führen, dass für den normalen Geschäftsbetrieb weniger liquide Aktiva zur Verfügung stehen. Daher sollten die zuständigen Behörden das erhöhte Risiko für Wertpapierfirmen, die solche Dienstleistungen erbringen, bewerten.

(6)

Für Wertpapierfirmen ist die Refinanzierung eine primäre Quelle der Liquidität, und eine Einschränkung oder Aussetzung des Refinanzierungszugangs kann zur Folge haben, dass die Dienstleistungen der Wertpapierfirmen nicht fortgesetzt werden können, was sich negativ auf die Märkte und Kunden auswirken kann. Da sich die Refinanzierung von Wertpapierfirmen von der Refinanzierung von Einlageninstituten unterscheidet und der Refinanzierungszugang solcher Wertpapierfirmen unter Umständen Risiken mit sich bringen kann, gilt es zu spezifizieren, welche Elemente die zuständigen Behörden berücksichtigen sollten, wenn sie für solche Wertpapierfirmen besondere Liquiditätsanforderungen festlegen.

(7)

Die Verschlechterung der makroökonomischen und geopolitischen Lage kann dazu führen, dass Wertpapierfirmen beim Zugang zur Refinanzierung mit ernsthaften Einschränkungen konfrontiert sind. Die zuständigen Behörden sollten daher bewerten, wie sich eine solche Verschlechterung auf die Refinanzierungsquellen von Wertpapierfirmen, insbesondere auch auf die Wholesale-Refinanzierung und auf Kreditlinien, auswirken könnte. Dabei gilt es zu spezifizieren, welche Elemente die zuständigen Behörden mit Blick auf nachteilige externe Ereignisse, die das Liquiditätsrisiko von Wertpapierfirmen erhöhen können, bewerten sollten.

(8)

Damit die zuständigen Behörden feststellen können, welche operationellen Ereignisse wesentliche Auswirkungen auf die Liquidität der Wertpapierfirmen haben können, gilt es zu spezifizieren, welche operationellen Ereignisse aus der in Artikel 324 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (4) enthaltenen Liste der Arten von Verlustereignissen für Wertpapierfirmen am relevantesten sein dürften.

(9)

Ein erhöhtes Liquiditätsrisiko kann aus Reputationsrisiken erwachsen, die sich wiederum auf die Geschäftstätigkeit der Wertpapierfirmen auswirken können. Manche Auswirkungen des Reputationsrisikos sind nicht leicht vorhersehbar, doch andere, wie ein eingeschränkter Marktzugang oder der Zugang zu Liquidität von Gegenparteien, lassen sich antizipieren. Die zuständigen Behörden sollten daher bewerten, wie sich solche vorhersehbaren Effekte des Reputationsrisikos auf das Liquiditätsrisiko von Wertpapierfirmen auswirken könnten.

(10)

Da sich das Liquiditätsrisiko auf das Funktionieren einer Wertpapierfirma auswirken kann, sollten die Wertpapierfirmen dieses Risiko eng überwachen. Nach Artikel 29 der Richtlinie (EU) 2019/2034 müssen Wertpapierfirmen über solide Strategien, Grundsätze und Verfahren verfügen, insbesondere auch um das Liquiditätsrisiko zu überwachen und Liquiditätsengpässen begegnen zu können. Deshalb gilt es zu spezifizieren, was die zuständigen Behörden bewerten sollten, um die Wirksamkeit der Liquiditätsrisikosteuerung und -kontrolle von Wertpapierfirmen zu beurteilen.

(11)

Eine Gruppe kann einer Wertpapierfirma zusätzliche Liquidität verschaffen, kann durch Vereinbarungen und andere Mechanismen zur Übertragung von Vermögenswerten zwischen der Wertpapierfirma auf der einen und dem Mutterunternehmen oder anderen Unternehmen der Gruppe auf der anderen Seite aber auch erhebliche liquide Mittel der Wertpapierfirma in Anspruch nehmen. Deshalb sollten die zuständigen Behörden verpflichtet werden, die Gesamtstruktur der Gruppe zu bewerten und zu berücksichtigen, wie sich solche Vereinbarungen und anderen Mechanismen zur Übertragung von Vermögenswerten auf das Liquiditätsrisiko von Wertpapierfirmen auswirken könnten, die Teil einer solchen Gruppe sind.

(12)

Diese Verordnung beruht auf dem Entwurf technischer Regulierungsstandards, der der Kommission von der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde übermittelt wurde.

(13)

Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde hat zu diesem Entwurf öffentliche Konsultationen durchgeführt, die damit verbundenen potenziellen Kosten- und Nutzeneffekte analysiert und die Stellungnahme der nach Artikel 37 der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlament und des Rates (5) eingesetzten Interessengruppe Bankensektor eingeholt —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:


(1)  ABl. L 314 vom 5.12.2019, S. 64.

(2)  Verordnung (EU) 2019/2033 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 über Aufsichtsanforderungen an Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010, (EU) Nr. 575/2013, (EU) Nr. 600/2014 und (EU) Nr. 806/2014 (ABl. L 314 vom 5.12.2019, S. 1).

(3)  Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 349).

(4)  Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. L 176 vom 27.6.2013, S. 1).

(5)  Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/78/EG der Kommission (ABl. L 331 vom 15.12.2010, S. 12).