Aktualisiert 05/02/2025
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Ursprungsrechtsakt
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Erwägungsgründe

DELEGIERTE VERORDNUNG (EU) 2017/2359 DER KOMMISSION

vom 21. September 2017

zur Ergänzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die für den Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten geltenden Informationspflichten und Wohlverhaltensregeln

(Text von Bedeutung für den EWR)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb (1), insbesondere auf Artikel 28 Absatz 4, Artikel 29 Absatz 4 und Artikel 30 Absatz 6,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Die Richtlinie (EU) 2016/97 sieht zusätzlich zu den für alle Versicherungsprodukte festgelegten Wohlverhaltensregeln eine Reihe spezieller Vorschriften vor, durch die Versicherungsanlageprodukte geregelt werden sollen.

(2)

Mit der Richtlinie (EU) 2016/97 wird der Kommission die Befugnis übertragen, delegierte Rechtsakte zu erlassen, um die Kriterien und praktischen Einzelheiten für die Anwendung dieser speziellen Vorschriften festzulegen. Die entsprechenden Befugnisse betreffen die Bestimmungen über Interessenkonflikte, Anreize sowie die Beurteilung der Eignung und Angemessenheit. Um die kohärente Anwendung der auf der Grundlage dieser Befugnisse angenommenen Bestimmungen sicherzustellen und zu gewährleisten, dass den Marktteilnehmern, den zuständigen Behörden und den Anlegern ein umfassendes Verständnis dieser Bestimmungen und ein einfacher Zugang zu ihnen ermöglicht wird, ist es wünschenswert, sie in einem einzigen Rechtsakt zusammenzufassen. Die Form einer Verordnung gewährleistet einen kohärenten Rahmen für alle Marktbetreiber und ist die bestmögliche Garantie für gleiche Ausgangsbedingungen, einheitliche Wettbewerbsbedingungen und ein angemessenes Maß an Verbraucherschutz.

(3)

Die Umstände und Situationen, die bei der Ermittlung der Arten von Interessenkonflikten, die den Interessen eines Kunden bzw. potenziellen Kunden abträglich sein können, zu berücksichtigen sind, sollten sich auf Fälle erstrecken, in denen es wahrscheinlich ist, dass der Versicherungsvermittler oder das Versicherungsunternehmen zu Lasten des Kunden einen finanziellen Vorteil erzielen oder einen finanziellen Verlust vermeiden wird. Allerdings sollte es für solche Situationen nicht ausreichen, dass der Versicherungsvermittler oder das Versicherungsunternehmen möglicherweise einen Vorteil zieht, wenn dies nicht konkret in einer nachteiligen Auswirkung für den Kunden resultiert, oder dass ein Kunde, gegenüber dem der Versicherungsvermittler oder das Versicherungsunternehmen eine Verpflichtung hat, möglicherweise einen Gewinn erzielt oder einen Verlust vermeidet, wenn sich dies nicht nachteilig auf einen anderen Kunden auswirkt.

(4)

Um unnötigen Verwaltungsaufwand zu vermeiden und gleichzeitig ein angemessenes Maß an Verbraucherschutz zu gewährleisten, sollten die organisatorischen Maßnahmen und Verfahren hinsichtlich des Umgangs mit Interessenkonflikten sorgfältig an die Größe und Tätigkeiten des Versicherungsvermittlers bzw. des Versicherungsunternehmens und gegebenenfalls der Gruppe, zu der der Vermittler bzw. das Unternehmen gehört, sowie an das Risiko der Beeinträchtigung der Interessen des Kunden angepasst werden. Es sollte eine nicht erschöpfende Liste möglicher Maßnahmen und Verfahren festgelegt werden, um den Versicherungsvermittlern und Versicherungsunternehmen in Bezug auf die Maßnahmen und Verfahren, die üblicherweise für den Umgang mit Interessenkonflikten zu berücksichtigen sind, Orientierung zu bieten. Aufgrund der großen Bandbreite von Geschäftsmodellen sind die vorgeschlagenen Maßnahmen und Verfahren möglicherweise nicht für alle Versicherungsvermittler und Versicherungsunternehmen von Relevanz. Insbesondere sind sie für kleine Versicherungsvermittler und ihre eingeschränkte Geschäftstätigkeit unter Umständen nicht angemessen. In solchen Fällen sollten die Versicherungsvermittler bzw. Versicherungsunternehmen imstande sein, alternative Maßnahmen und Verfahren einzuführen, die besser geeignet sind, um in der jeweiligen Situation dafür zu sorgen, dass die Vertriebstätigkeiten im besten Interesse des Kunden ausgeführt werden.

(5)

Während gemäß der Richtlinie (EU) 2016/97 die Offenlegung von bestimmten Interessenkonflikten verlangt wird, sollte diese Maßnahme das letzte Mittel darstellen, das nur eingesetzt wird, wenn die organisatorischen und administrativen Vorkehrungen zur Vermeidung oder Regelung dieser Interessenkonflikte nicht ausreichend sind, um mit hinreichender Gewissheit sicherzustellen, dass die Risiken für eine Verletzung der Interessen des Kunden abgewendet werden, da eine übermäßige Offenlegung zu einem Mangel an wirksamen Schutz der Interessen des Kunden führen kann. Legt ein Versicherungsvermittler oder Versicherungsunternehmen Interessenkonflikte offen, so sollte er bzw. es nicht von der Pflicht befreit werden, die organisatorischen und administrativen Vorkehrungen aufrechtzuerhalten und anzuwenden, mithilfe derer sich eine Schädigung der Interessen der Kunden am effektivsten verhindern lässt.

(6)

Um die praktische Umsetzung der mit der Richtlinie festgesetzten Standards zu erleichtern, sollten die Kriterien für die Beurteilung der von den Versicherungsvermittlern und Versicherungsunternehmen gesetzten oder erhaltenen Anreize ausführlicher dargelegt werden. Dazu sollte eine nicht erschöpfende Liste von Kriterien, die als für die Beurteilung einer möglichen nachteiligen Auswirkung auf die Qualität der Dienstleistung für den Kunden relevant angesehen werden, als Orientierung zur Verfügung gestellt werden, um ein angemessenes Maß an Verbraucherschutz zu gewährleisten.

(7)

Die Beurteilung der Eignung gemäß Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie (EU) 2016/97 und die Beurteilung der Angemessenheit gemäß Artikel 30 Absatz 2 derselben Richtlinie haben je nach Vertriebsaktivität einen unterschiedlichen Umfang und unterscheiden sich in ihrer Funktion und ihren Merkmalen. Daher ist es erforderlich, die Standards und Anforderungen, die bei der Einholung der für diese beiden Beurteilungen erforderlichen Informationen und der Durchführung der Beurteilungen einzuhalten sind, eindeutig festzulegen. Auch sollte präzisiert werden, dass die Beurteilungen der Eignung und Angemessenheit unbeschadet der für die Versicherungsvermittler und Versicherungsunternehmen bestehenden Verpflichtung erfolgen, vor dem Abschluss eines Versicherungsvertrags anhand der vom Kunden bereitgestellten Angaben dessen Wünsche und Bedürfnisse zu ermitteln.

(8)

Die Eignungsbeurteilung sollte nicht nur in Bezug auf Empfehlungen zum Kauf eines Versicherungsanlageprodukts durchgeführt werden, sondern in Bezug auf sämtliche persönlichen Empfehlungen, die innerhalb der Lebensdauer des betreffenden Produkts abgegeben werden, da solche Situationen Beratung über Finanzgeschäfte implizieren können, die auf einer gründlichen Analyse der Kenntnisse und Erfahrung sowie der finanziellen Verhältnisse des jeweiligen Kunden beruhen sollte. Die Notwendigkeit einer Eignungsbeurteilung ist in Bezug auf Entscheidungen hinsichtlich einer Umschichtung der zugrunde liegenden Investitionswerte oder des Haltens bzw. Verkaufs eines Versicherungsanlageprodukts besonders hoch.

(9)

Da das Marktrisiko von Versicherungsanlageprodukten stark von der Wahl der zugrunde liegenden Investitionswerte abhängt, kann solch ein Produkt für den Kunden bzw. potenziellen Kunden aufgrund der mit diesen Vermögenswerten verbundenen Risiken, der Art bzw. den Merkmalen des Produkts oder der Häufigkeit, in der eine Umschichtung der zugrunde liegenden Investitionswerte erfolgt, ungeeignet sein. Ein Produkt kann auch dann ungeeignet sein, wenn es ein ungeeignetes Portfolio an zugrunde liegenden Anlagen zur Folge hätte.

(10)

Die Versicherungsvermittler und Versicherungsunternehmen sollten für die Durchführung von Eignungsbeurteilungen zuständig bleiben, wenn die Beratung über Versicherungsanlageprodukte ganz oder teilweise durch ein automatisiertes oder teilautomatisiertes System erbracht wird, da solche Systeme persönliche Anlageempfehlungen abgeben, die auf einer Eignungsbeurteilung beruhen sollten.

(11)

Um einen angemessenen Beratungsstandard hinsichtlich der langfristigen Entwicklung des Produkts zu gewährleisten, sollten die Versicherungsvermittler bzw. Versicherungsunternehmen Informationen darüber, ob der Kunde in Bezug auf die empfohlenen Versicherungsanlageprodukte wahrscheinlich eine regelmäßige Prüfung der Verträge beantragen muss, in die Geeignetheitserklärung aufnehmen und die Aufmerksamkeit der Kunden darauf richten.

(12)

Da die Beurteilung der Angemessenheit prinzipiell in allen Fällen durchgeführt werden muss, in denen der Verkauf von Versicherungsanlageprodukten ohne Beratung stattfindet, sollten die Versicherungsvermittler bzw. Versicherungsunternehmen solch eine Beurteilung in sämtlichen Situationen durchführen, in denen der Kunde im Einklang mit den geltenden nationalen Rechtsvorschriften den Verkauf ohne Beratung wünscht und in denen die Bedingungen des Artikels 30 Absatz 3 der Richtlinie (EU) 2016/97 nicht erfüllt sind. In den Fällen, in denen die Durchführung einer Eignungsbeurteilung nicht möglich ist, da die erforderlichen Informationen über die finanziellen Verhältnisse und die Anlageziele des Kunden nicht eingeholt werden können, kann der Kunde im Einklang mit den geltenden nationalen Rechtsvorschriften zustimmen, mit dem Abschluss des Vertrags als Verkauf ohne Beratung fortzufahren. Um jedoch sicherzustellen, dass der Kunde über die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, um die damit einhergehenden Risiken zu verstehen, sollte in solchen Situationen eine Beurteilung der Angemessenheit vorgeschrieben sein, es sei denn, die Bedingungen des Artikels 30 Absatz 3 der Richtlinie (EU) 2016/97 sind erfüllt.

(13)

Im Sinne von Artikel 30 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer ii der Richtlinie (EU) 2016/97 sollten Kriterien für die Beurteilung festgelegt werden, ob ein Versicherungsanlageprodukt, das die in Artikel 30 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten Bedingungen nicht erfüllt, dennoch als nichtkomplexes Produkt gelten kann. In diesem Zusammenhang kann die Leistung von Garantien eine wichtige Rolle spielen. Bietet ein Versicherungsanlageprodukt zum Zeitpunkt der Fälligkeit eine Garantie, die mindestens den vom Kunden gezahlten Gesamtbetrag, ausgenommen legitime Kosten, abdeckt, schränken solche Garantien das Ausmaß, in dem der Kunde Marktschwankungen ausgesetzt ist, erheblich ein. Es kann somit gerechtfertigt sein, solch ein Produkt unter dem Vorbehalt weiterer Bedingungen als nichtkomplexes Produkt im Sinne des Artikels 30 Absatz 3 der Richtlinie (EU) 2016/97 zu betrachten.

(14)

Die Richtlinie (EU) 2016/97 zielt auf eine Mindestharmonisierung ab und hindert die Mitgliedstaaten daher nicht daran, strengere Bestimmungen zum Zweck des Verbraucherschutzes beizubehalten oder einzuführen, sofern diese Bestimmungen mit dem Unionsrecht in Einklang stehen. Die von der Kommission zum Zwecke der Präzisierung der in der Richtlinie (EU) 2016/97 festgelegten Anforderungen angenommenen Vorschriften sollten daher so angelegt sein, dass sie es den Mitgliedstaaten ermöglichen, strengere Bestimmungen in ihren nationalen Gesetzen beizubehalten.

(15)

Damit sich die zuständigen Behörden und Versicherungsfachleute auf die neuen Anforderungen der vorliegenden Verordnung einstellen können, sollte die Verordnung ab dem gleichen Zeitpunkt gelten wie die nationalen Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97.

(16)

Die mit Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) eingerichtete Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung wurde zur technischen Beratung (3) hinzugezogen —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:


(1)  ABl. L 26 vom 2.2.2016, S. 19.

(2)  Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/79/EG der Kommission (ABl. L 331 vom 15.12.2010, S. 48).

(3)  Technical Advice on possible delegated acts concerning the Insurance Distribution Directive, EIOPA-17/048, 1. Februar 2017 (auf Englisch), verfügbar unter: https://eiopa.europa.eu/Publications/Consultations/EIOPA%20Technical%20Advice%20on%20the%20IDD.pdf