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Erwägungsgründe

DELEGIERTE VERORDNUNG (EU) 2020/1818 DER KOMMISSION

vom 17. Juli 2020

zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2016/1011 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf Mindeststandards für EU-Referenzwerte für den klimabedingten Wandel und für Paris-abgestimmte EU-Referenzwerte

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EU) 2016/1011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Referenzwert oder zur Messung der Wertentwicklung eines Investmentfonds verwendet werden, und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2014/17/EU sowie der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 (1), insbesondere auf Artikel 19a Absatz 2,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Das im Rahmen des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen geschlossene Übereinkommen von Paris, das die Union am 5. Oktober 2016 angenommen hat (2) (im Folgenden „Übereinkommen von Paris“), zielt darauf ab, die Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels zu verstärken, indem unter anderem die Investitionsströme mit dem Übergang zu einer hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarmen und gegenüber Klimaänderungen widerstandsfähigen Entwicklung in Einklang gebracht werden.

(2)

Am 11. Dezember 2019 veröffentlichte die Kommission ihre Mitteilung an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — „Der europäische Grüne Deal“ (3). Der europäische Grüne Deal stellt eine neue Wachstumsstrategie dar, mit der die Union zu einer fairen und wohlhabenden Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft werden soll, in der im Jahr 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden und das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt ist. Die Umsetzung des europäischen Grünen Deals erfordert, dass klare, langfristige Signale für Investoren gesetzt werden, damit „verlorene“ Vermögenswerte vermieden und nachhaltige Finanzmittel mobilisiert werden.

(3)

In der Verordnung (EU) 2016/1011 werden EU-Referenzwerte für den klimabedingten Wandel und für Paris-abgestimmte EU-Referenzwerte festgelegt. Die Methodik dieser Referenzwerte beruht auf den im Übereinkommen von Paris festgelegten Verpflichtungen. Es ist erforderlich, die für beide Arten von Referenzwerten geltenden Mindeststandards festzulegen. Mit den EU-Referenzwerten für den klimabedingten Wandel und den Paris-abgestimmten EU-Referenzwerten werden ähnliche Ziele verfolgt, die jedoch unterschiedlich ehrgeizig ausfallen. Der Großteil der Mindeststandards sollte daher für beide Arten von Referenzwerten gelten, wobei die Schwellenwerte jedoch je nach Art des Referenzwerts variieren sollten.

(4)

Derzeit gibt es nicht genügend Daten, um den CO2-Fußabdruck zu bewerten, der sich aus den Entscheidungen staatlicher Einrichtungen ergibt. Öffentliche Emissionen sollten daher nicht als Bestandteile der EU-Referenzwerte für den klimabedingten Wandel und der Paris-abgestimmten EU-Referenzwerte in Frage kommen.

(5)

Da die Methodik der EU-Referenzwerte für den klimabedingten Wandel und die Paris-abgestimmten EU-Referenzwerte auf den im Übereinkommen von Paris festgelegten Verpflichtungen beruht, ist es notwendig, das im Sonderbericht „1,5 °C globale Erwärmung“ des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) (4) erläuterte 1,5 °C-Szenario (im Folgenden „IPCC-Szenario“) ohne oder nur mit begrenzter Überschreitung anzuwenden. Dieses IPCC-Szenario steht im Einklang mit dem Ziel der Kommission, bis zum Jahr 2050 Treibhausgasneutralität zu erreichen, wie im Rahmen des europäischen Grünen Deals festgelegt. Um dem IPCC-Szenario zu entsprechen, sollten Investitionen von Tätigkeiten, die von fossilen Brennstoffen abhängen, auf grüne oder erneuerbare Tätigkeiten verlagert werden, und die Klimaauswirkungen dieser Investitionen sollten sich von Jahr zu Jahr verbessern.

(6)

Die in den Abschnitten A bis H und Anhang I Abschnitt L der Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates (5) aufgeführten Sektoren, darunter Öl, Gas, Bergbau und Verkehr, sind Wirtschaftszweige, die in hohem Maße zum Klimawandel beitragen. Um zu gewährleisten, dass die EU-Referenzwerte für den klimabedingten Wandel und die Paris-abgestimmten EU-Referenzwerte ein wirklichkeitstreues Bild der Realwirtschaft vermitteln, einschließlich der Sektoren, die ihre THG-Emissionen aktiv reduzieren sollten, um die Ziele des Übereinkommens von Paris erreichbar zu machen, sollte die Risikoposition der genannten Referenzwerte gegenüber diesen Sektoren nicht geringer sein als die einschlägige Risikoposition ihres zugrunde liegenden Anlageuniversums. Diese Anforderung sollte jedoch nur für die EU-Referenzwerte für den klimabedingten Wandel und für Paris-abgestimmte EU-Referenzwerte gelten, die Referenzwerte für Aktien sind, um sicherzustellen, dass Aktienanleger, denen die Ziele des Übereinkommens von Paris ein Anliegen sind, weiterhin durch Interaktion und Abstimmung ihren Einfluss auf den Übergang des Unternehmens hin zu nachhaltigeren Tätigkeiten geltend machen.

(7)

Die Berechnungsmethode der THG-Emissionen sollte vergleichbar und einheitlich sein. Es ist daher notwendig, Vorschriften darüber festzulegen, wie oft diese Berechnungen aktualisiert werden sollten, und gegebenenfalls über die zu verwendende Währung.

(8)

Eine Dekarbonisierung, die nur auf THG-Emissionen der Kategorien Scope 1 und Scope 2 basiert, könnte zu kontraintuitiven Ergebnissen führen. Es sollte daher präzisiert werden, dass die Mindeststandards für die EU-Referenzwerte für den klimabedingten Wandel und für Paris-abgestimmte EU-Referenzwerte nicht nur die direkten Emissionen von Unternehmen, sondern auch anhand des Lebenszykluskonzepts bewertete Emissionen und damit auch die THG-Emissionen der Kategorie Scope 3 berücksichtigen sollten. Aufgrund der unzureichenden Qualität der derzeit verfügbaren Daten zu den THG-Emissionen der Kategorie Scope 3 ist es jedoch notwendig, einen angemessenen Einführungszeitplan festzulegen, um die Nutzung der Reserven fossiler Brennstoffe für einen begrenzten Zeitraum zu ermöglichen. Dieser Einführungszeitplan sollte sich auf das in der Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 enthaltene Verzeichnis der Wirtschaftszweige stützen.

(9)

Referenzwert-Administratoren sollten die Möglichkeit haben, Unternehmen auf der Grundlage der von den Unternehmen festgelegten Dekarbonisierungszielen zu gewichten. Daher sollten spezifische Vorschriften in Bezug auf die von den einzelnen Unternehmen gemeldeten Dekarbonisierungsziele festgelegt werden.

(10)

Die EU-Referenzwerte für den klimabedingten Wandel und die Paris-abgestimmten EU-Referenzwerte sollten unter Beweis stellen, dass sie in der Lage sind, sich innerhalb eines Jahres zu dekarbonisieren. Dieser minimale Dekarbonisierungszielpfad sollte unter Verwendung des IPCC-Szenarios berechnet werden. Um Grünfärberei zu verhindern, sollten darüber hinaus die Bedingungen für die Abweichung vom Dekarbonisierungszielpfad und für das Recht, einen Referenzwert weiterhin als EU-Referenzwert für den klimabedingten Wandel oder als Paris-abgestimmten EU-Referenzwert zu kennzeichnen, festgelegt werden.

(11)

Hauptparameter für die Berechnung des Dekarbonisierungszielpfads sollte die THG-Emissionsintensität sein, da dieser Parameter die Vergleichbarkeit zwischen den Wirtschaftszweigen sicherstellt und nicht zugunsten oder zulasten eines bestimmten Wirtschaftszweigs verzerrt ist. Zur Berechnung der THG-Emissionsintensität wird die Marktkapitalisierung des betreffenden Unternehmens benötigt. Wenn jedoch Referenzwerte für festverzinsliche Unternehmensinstrumente herangezogen werden, liegt die Marktkapitalisierung für Unternehmen, die über keinerlei börsennotierte Dividendenwerte verfügen, möglicherweise nicht vor. Es sollte daher festgelegt werden, dass in den Fällen, in denen für festverzinsliche Unternehmensinstrumente EU-Referenzwerte für den klimabedingten Wandel oder Paris-abgestimmte EU-Referenzwerte herangezogen werden, den Referenzwert-Administratoren gestattet werden sollte, THG-Emissionen zu verwenden, die auf absoluten Werten statt auf der THG-Emissionsintensität basieren.

(12)

Um die Vergleichbarkeit und Einheitlichkeit der THG-Emissionsdaten zu gewährleisten, sollten Vorschriften für die Berechnung von Änderungen der THG-Emissionsintensität oder der absoluten THG-Emissionen festgelegt werden.

(13)

Zur Erreichung der Ziele des Übereinkommens von Paris ist es erforderlich, dass sowohl die EU-Referenzwerte für den klimabedingten Wandel als auch die Paris-abgestimmten EU-Referenzwerte eine prozentuale Verringerung des Ausgangswerts für die Risikoposition gegenüber THG-intensiven Anlagen im Vergleich zu den Referenzwerten der Muttergesellschaft oder den zugrunde liegenden Anlageuniversen aufweisen. Diese prozentuale Verringerung sollte jedoch bei den Paris-abgestimmten EU-Referenzwerten, die ehrgeiziger ausgestaltet sind als die EU-Referenzwerte für den klimabedingten Wandel, bedeutender sein.

(14)

Die Paris-abgestimmten EU-Referenzwerte sollten nicht zur Förderung von Investitionen in Finanzinstrumente beitragen, die von Unternehmen begeben werden, die gegen internationale Standards wie die Grundsätze der Initiative „Global Compact“ der Vereinten Nationen (UNGC) verstoßen. Es ist daher notwendig, spezifische Kriterien festzulegen, die auf klimabezogenen oder anderen Erwägungen zu Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekten (environmental, social and governance, ESG) beruhen. Die EU-Referenzwerte für den klimabedingten Wandel sollten diese Ausschlusskriterien bis zum 31. Dezember 2022 gemäß dem in der Verordnung (EU) 2016/1011 festgelegten Zeitplan erfüllen.

(15)

Um einen Rückgang der Nutzung umweltschädlicher Energiequellen und einen ordnungsgemäßen Übergang zu erneuerbaren Energiequellen zu unterstützen, ist es ebenfalls zweckmäßig, dass Unternehmen, die mehr als einen bestimmten Prozentsatz ihrer Einnahmen mit Kohle, Öl oder Gas erzielen, von den Paris-abgestimmten Referenzwerten ausgeschlossen werden. Die im IPCC-Szenario erwarteten Veränderungen des Anteils dieser Energieträger an der weltweiten Primärenergieversorgung zwischen 2020 und 2050 sollten bei der Festlegung dieser spezifischen Ausschlüsse berücksichtigt werden. Insbesondere werden gemäß der Tabelle 2.6 des IPCC-Sonderberichts „1,5 °C globale Erwärmung“ zwischen 2020 und 2050 ein Rückgang des Kohleverbrauchs um 57 % bis 99 %, ein Rückgang des Ölverbrauchs um 9 % bis 93 % sowie entweder ein Anstieg des Gasverbrauchs um 85 % oder ein Rückgang um 88 % erwartet. Gas kann während des Übergangs zu einer CO2-armen Wirtschaft insbesondere als Ersatz für Kohle verwendet werden, was die breitere erwartete Entwicklungsspanne erklärt, obwohl der erwartete mittlere Rückgang des Gasverbrauchs bei 40 % liegt. Aus demselben Grund ist es notwendig, Unternehmen auszuschließen, die mehr als einen bestimmten Prozentsatz ihrer Einnahmen durch Stromerzeugungstätigkeiten erzielen.

(16)

Um die Transparenz hinsichtlich der Methodik zu gewährleisten, die für die EU-Referenzwerte für den klimabedingten Wandel und die Paris-abgestimmten EU-Referenzwerte verwendet wird, ist es zweckmäßig, Vorschriften über die erforderlichen Offenlegungen in Bezug auf den Dekarbonisierungszielpfad und die Datenquellen für beide Kategorien von Referenzwerten festzulegen. Aus demselben Grund ist es zweckmäßig, Offenlegungsanforderungen für Referenzwert-Administratoren festzulegen, die Schätzungen für THG-Emissionsdaten verwenden, unabhängig davon, ob die geschätzten Daten von externen Datenlieferanten bereitgestellt werden.

(17)

Um die Harmonisierung der Methodik für die EU-Referenzwerte für den klimabedingten Wandel und die Paris-abgestimmten EU-Referenzwerte zu unterstützen, ist es zweckmäßig, Vorschriften über die Qualität und Genauigkeit der Datenquellen festzulegen —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:


(1)  ABl. L 171 vom 29.6.2016, S. 1.

(2)  Beschluss (EU) 2016/1841 des Rates vom 5. Oktober 2016 über den Abschluss des im Rahmen des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen geschlossenen Übereinkommens von Paris im Namen der Europäischen Union (ABl. L 282 vom 19.10.2016, S. 1).

(3)  COM(2019) 640 final.

(4)  IPCC, 2018: Global Warming of 1.5 °C. An IPCC Special Report on the impacts of global warming of 1.5 °C above pre-industrial levels and related global greenhouse gas emission pathways, in the context of strengthening the global response to the threat of climate change, sustainable development, and efforts to eradicate poverty.

(5)  Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 zur Aufstellung der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige NACE Revision 2 und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3037/90 des Rates sowie einiger Verordnungen der EG über bestimmte Bereiche der Statistik (ABl. L 393 vom 30.12.2006, S. 1).